Sunhild Wollwage
Sunhild Wollwage ist gelernte Laborantin und ist seit vielen Jahren als freie Künstlerin tätig. Sie stammt ursprünglich aus Stuttgart, lebt aber seit über 50 Jahren in Liechtenstein.
TEXT / Cornelia Kolb-Wieczorek
Das Schaffen von Sunhild Wollwage entfaltet sich vor dem Hintergrund einer intensiven Begegnung mit der Natur und deren Kreisläufen, Kräften und Wandlungen. Gedanken über das Aufeinanderstossen von Natur und Zivilisation bilden dabei ein zentrales Thema, ohne einen explizit moralischen Anspruch zu erheben. Vielmehr handelt es sich bei ihren Werken um Techniken des Erinnerns, um das Sichern und Aufzeichnen von Spuren vergangenen Lebens, das Notieren von Wahrgenommenem zwischen Sinnlichkeit und Geist.
Während täglicher Wanderungen gilt Wollwages Augenmerk kleinteiligem, unscheinbarem Naturmaterial, das ihr in chaotisch anmutender Abundanz begegnet. Diesem natürlichen Chaos setzt sie eine kreative Ordnung entgegen, indem sie die gesammelten Materialien in serieller Reihung, einer laborartigen Versuchsanordnung ähnelnd, auf einem Bildträger fixiert. Die so im Spannungsfeld zwischen klarer Ordnungsstruktur und intuitiv-emotionalem Impuls entstehenden Piktografien sind von eigenwilliger, sensibler Poesie. Sie «schreiben» die Geschichte des allzu leicht Übersehenen, erzählen von den Geheimnissen der Schöpfung und von urmythischen Bewegungsmotiven, ohne sie durch wissenschaftliche Erklärung zu entzaubern.
Sobald ich zu Wanderungen in der Natur aufbreche, verfestigen sich meine Gedanken sofort in Richtung künstlerischer Ideen.
Etwa seit 2014 entstehen Bildtafeln aus Erden, Blütenstaub und Russ, Werke von zarter malerischer Anmutung. Farbfeldartig sind unterschiedlich breite Streifen aus feinstem, über längere Zeiträume hinweg gesammeltem Material gewissermassen als «Gedächtnisschichten» übereinander gelagert; daneben stehen Kompositionen aus eiförmigen Flächen, welche, wie bereits frühere Werke, die ikonografische Bedeutung des Eies als Symbol des Lebens und der Reinheit miteinbeziehen. Doch geht es nicht allein um das Symbolische: Im Vordergrund steht zunächst – wie eigentlich stets in Wollwages Schaffen – das Material selbst, die Flüchtigkeit und Zartheit der Pollen, ihr scheinbar aus der Vergangenheit in die Ewigkeit strahlendes Gelb, dieses amorphe Material, das mit stiller Selbstverständlichkeit formgebenden Lebensgeist in sich trägt; dann wiederum der Zauber der verschiedenen Erden, die unterschiedliche Anmutung ihrer glänzenden oder matten Erscheinung, ihre feintonige Farbigkeit, die Wirkung eines tiefen, dichten Schwarz, das sich mit warmen Farbtönen verbindet, die man Demeter zuordnen möchte, der Göttin der Fruchtbarkeit der Erde, der Saat und des Getreides.
Foto: Martin Walser
Betrachtet man das über Jahrzehnte in authentischer Konsequenz entstandene Werk der Künstlerin, so wird deutlich, dass der Faktor Zeit eine wesentliche Rolle spielt: vergangene Zeit, gegenwärtige und kommende Zeit, das Werden und Vergehen alles Lebendigen. Schon im zeitintensiven Prozess des künstlerischen Gestaltens selbst spiegelt sich dies wider und ebenso in der Fragilität des gewählten Materials, dem der frühere oder spätere Verfall bereits eingeschrieben ist.