«Warum digital nicht gut genug ist»

Prof. Jan vom Brocke

Universität Liechtenstein

Warum digital nicht gut genug ist

Über Digitalisierung wurde schon viel gesprochen. Die Möglichkeiten für die Gestaltung neuer Lebens- und Arbeitsformen sind beeindruckend. Zu wenig wird aber thematisiert, was wir heute tun müssen, um erfolgreich in die digitale Zukunft zu gehen. Dass Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien entscheidend sind, versteht sich von selbst. Um erfolgreich in die digitale «Mensch-Maschine-Gesellschaft» zu gehen, müssen wir vor allem lernen, Mehrwerte zu bieten, die Maschinen nicht im Stande sind zu leisten.

Wo können solche Mehrwerte liegen, die uns zum Gestalter einer guten digitalen Welt machen? In diesem Beitrag möchte ich argumentieren, dass wir gerade nicht nur den Technologien hinterher laufen sollten, sondern dass es in einer digitalen Welt gerade darauf ankommt, sich den «komparativen Konkurrenzvorheiten» von uns Menschen bewusst zu werden, und diese in die Wertschöpfung mit einzubringen. Ich möchte auch zum Denken anregen, ob wir in unseren Organisationen und in der Bildung dafür die richtigen Rahmenbedingungen setzen.

Was ist Digitalisierung? Digitalisierung, so facettenreich sie auch heute beschrieben wird, bedeutet schliesslich «Automatisierung». Andere Worte sind Computerisierung oder auch Robotisierung. Mobile Apps, Soziale Netzwerke und Datenanalysen sind nur der Anfang. Sie zeichnen einen Weg der zunehmenden maschinellen Datenverarbeitung und – damit verbunden – auch der Substitution menschlicher Arbeit. War die Industrialisierung die Automatisierung der Fertigung, bringt die Digitalisierung jetzt die Automatisierung der Verwaltung und Organisation.

Verschieben und Zoomen mit zwei Fingern.

 

Dienstleistung durch Maschinen

Zukunftsmusik? Schon 2008 waren mehr Maschinen im Internet als Menschen und auch wir nutzen immer mehr Maschinen im täglichen Leben. Wenn wir einen Flug oder ein Hotel buchen, übernehmen schon heute Roboter diese Aufgabe, denn nicht Menschen, sondern Maschinen erfüllen die von uns nachgefragte Dienstleistung. Maschinen sind dem Menschen dabei haushoch überlegen, denn sie vergleichen hunderttausende von Alternativen in wenigen Minuten oder Sekunden, und das mit hoher Präzision.

Um Mehrwerte zu bieten, sollten wir uns auf Stärken konzentrieren, die den Menschen heute noch gegenüber Maschinen auszeichnen. Einige möchte ich kurz skizzieren:

  1. Emotionalität: Menschen, anders als heute noch Maschinen, können fühlen. Was bedeutet das? Wir haben ein Bauchgefühl und können beurteilen, ob sich etwas vor dem Hintergrund eines geteilten Wertesystems gut oder schlecht «anfühlt», beziehungsweise richtig oder falsch ist. Dies ist ein grosser Vorteil, denn die Forschung zeigt, dass Emotion eine wesentlich stärkere verhaltensbeeinflussende Wirkung hat als Kognition. Menschen sollten imstande sein, ihre eigenen Gefühle sowie die Gefühle Anderer zu erfahren und in ihrem Handeln zu berücksichtigen. Wichtig ist daher emotionale Kompetenz. Emotionalität muss gegenüber der Rationalität gebührend Raum gegeben werden: einerseits, da dies das Leben lebenswert macht; anderseits aber auch, weil wir in einer rein rationalen Welt den Maschinen schon sehr bald unterlegen sein werden.
  2. Kreativität: Menschen, anders als heute noch Maschinen, können auf neue Ideen kommen. Wir können kreativ sein und beim Sport oder auf einer schönen Wanderung andere Wege und neue Lösungen finden. Dabei sind wir imstande, selbst gegebene Strukturen in Frage zu stellen, neue Herangehensweisen zu entwickeln und die Welt zu gestalten. Menschen sollten im Stande sein, ihre Kreativität zur Erfindung und Gestaltung neuartiger Dinge zu nutzen, um so einen Mehrwert gegenüber maschinellen Tätigkeiten zu leisten. Gefragt ist also Innovationskompetenz. Dazu müssen wir divergentes Denken und Handeln zulassen, damit eine Vielzahl auch unkonventioneller Ideen entstehen kann. Eine wichtige Grundlage ist die Wertschätzung von Innovation und damit auch die Wertschätzung der Andersartigkeit und des Infragestellens herkömmlicher Ansätze.
  3. Reflexivität: Menschen, anders als heute noch Maschinen, können Gesamtzusammenhänge erfassen und mehr sehen als die Summe der einzelnen Teile. Wir können beurteilen, ob Entwicklungen insgesamt gut oder schlecht verlaufen und sind dabei auch imstande, neue Zielsetzungen und Wertesysteme zu entwickeln - sowohl für unsere Gesellschaft, als auch für uns selbst. Menschen sollten daher fähig sein, Sachverhalte zu beurteilen und dabei auch das übergeordnete, grosse Ganze zu sehen. Die Eigenschaft, nicht nur singuläre Aspekte zu betrachten, sondern Situationen ganzheitlich zu verstehen, in ihren diversen und schwer vorhersehbaren Konsequenzen, kann Menschen eine wichtige Rolle in den Mensch-Maschine-Gesellschaften zukommen lassen.
  4. Aktivität: Menschen, anders als heute noch Maschinen, können Dinge bewegen. Sie können gestalten, und zwar auch komplexe Sachverhalte. Sie können damit auch Veränderungsprozesse in Gang setzen und lenken, die für die kontinuierliche Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft, gerade in Kooperation mit Maschinen, entscheidend sind. Menschen in der digitalen Welt sollten in der Lage sein, Dinge umzusetzen und dafür nicht nur die erforderliche Motivation und Energie, sondern auch spezifische Fertigkeiten mitzubringen und den nötigen Raum zur Verfügung gestellt bekommen. «Es gibt nichts Gutes, ausser: Man tut es.», wird Erich Kästner gerne zitiert. Dies gilt um so mehr in der digitalen Welt, in der sich die Menschen behaupten werden, die Initiative zeigen, sich engagieren, und aus Überzeugung für eine Sache einstehen.
«Wer sich in einer digitalen Welt wie ein Roboter verhält, hat keine Zukunft, da uns Roboter in Präzision, Geschwindigkeit und Regeltreue weit überlegen sind.»

Wenn wir also gegenüber Maschinen einen Mehrwehrt bieten möchten, dann kann dies über unsere Fähigkeiten zur Emotionalität, Kreativität, Reflexivität und Aktivität erfolgen. Dies sind Fähigkeiten, die wir in einer digitalen Welt besonders stärken müssen, um (gemeinsam mit Maschinen), die gesellschaftliche und wirtschaftliche Wertschöpfung zu unser aller Wohl zu gestalten.

Tun wir das? Sind unsere Mitarbeiter stark in Emotionalität, Kreativität, Reflexivität und Aktivität? Ist es das, was wir fördern? Zum Beispiel durch Organisationsstrukturen, Managementsysteme und die Unternehmenskultur? Was macht unser Bildungssystem? Ist es primär Emotionalität, Kreativität, Reflexivität und Aktivität, die vermittelt werden? Wer sich in einer digitalen Welt wie ein Roboter verhält, hat keine Zukunft, da uns Roboter in Präzision, Geschwindigkeit und Regeltreue weit überlegen sind. So werden z.B. Grenzbeamte schon jetzt an vielen Flughäfen von Maschinen ersetzt. Langfristig werden Menschen nur dort arbeiten, wo Werte wie Emotionalität, Kreativität, Reflexivität und Aktivität gefragt sind. Wir sollten also dringend dafür sorgen, dass wir als Menschen diese Fähigkeiten auch mitbringen, diese stärken und ausbauen. Der Arbeitsplatz der Zukunft wird der Arbeitsplatz sein, den Maschinen nicht wahrnehmen können.

 

Digitalisierung und Wissensvermittlung

Imitieren wir also bitte nicht die Roboter, sondern lernen wir, sie uns zunutze zu machen. An Universitäten wird z.B. diskutiert, ob digitale Lernformen, wie zum Beispiel sogenannte Massive Open Online Courses (MOOCs) Universitäten einmal überflüssig machen werden, und die Antwort ist natürlich: Nein. Im Gegenteil lässt die Digitalisierung Universitäten zu einem noch wertvolleren Ort werden, an dem Handlungskompetenzen vermittelt und Persönlichkeitsentwicklung erfolgen kann. Sogenannte Flipped Lectures sehen zum Beispiel vor, dass Inhalte vor Beginn einer Lehrveranstaltung über digitale Medien vermittelt werden, dann Eingangsklausuren stattfinden, um schliesslich mit denjenigen, die diese Klausuren bestehen, an spannenden Projekten zu arbeiten, die letztlich Werte wie Kreativität, Emotionalität, Reflexivität und Aktivität fördern. Digitalisierung fordert also den nicht-digitalen Bereich, denn den Hochschullehrer und die Universität, die nicht über reine Wissensvermittlung hinausgehen, wird es in der Tat nicht mehr geben. Es ist offensichtlich, dass dieses Beispiel leicht auf alle anderen Lebens- und Arbeitsbereiche übertragen werden kann, wie auch auf eine Bank.

«Jeder darf sich fragen, wie sehr wir noch in alten Denkmustern verhaftet sind und Roboter produzieren, die echten Robotern aber weit unterlegen sind.»

Wollen wir in eine gute digitale Zukunft gehen, müssen wir also vor allem die Emotionalität, Kreativität, Reflexivität und Aktivität in uns und unserer Gesellschaft stärken. Jeder darf sich fragen, wie sehr wir das heute tun oder wie sehr wir noch in alten Denkmustern verhaftet sind und Roboter produzieren, die echten Robotern aber weit unterlegen sind. Damit meine ich nicht nur die Bildung, sondern auch Organisationen und jeden Einzelnen von uns. Ich möchte dazu aufrufen, dieses Thema breit zu diskutieren. Kenntnisse über aktuelle Entwicklungen, wie die Block Chain Technologie, sind Voraussetzungen. Diese Themen kommen und gehen, und das immer schneller. Was bleibt ist unsere Rolle als Mensch, solche Technologien zum Wohle der Wirtschaft und Gesellschaft nutzen zu lernen. Dazu braucht es eine (Wieder-)Besinnung auf menschliche Werte wie Emotionalität, Kreativität, Reflexivität und Aktivität. Standorte und Organisationen, die dies erkennen und umsetzen, werden die Gewinner der Digitalisierung sein.