«Vom Bankgeheimnis zum Krypto-Banking»

Peter Schnürer

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Vom Bankgeheimnis zum Krypto-Banking

Unter dem Titel «Digitalisierung» wird vieles als revolutionär bezeichnet, was in Wirklichkeit nur eine längst fällige Weiterentwicklung bestehender Services darstellt. Die wahre Revolution wird von Technologien getrieben, die ein komplettes Umdenken in der Kundenbeziehung erfordern - in einer Geschwindigkeit, wie es die Finanzbranche bisher noch nicht erlebt hat.

Disruption und Blockchain, Digital Banking und Fintech – so und ähnlich lauten die Buzzwords der Stunde. Nahezu täglich werden Innovationen für die Finanzindustrie auf den Markt geworfen und Untergangszenarien für die etablierten Banken an die Wand gemalt.
Klar ist: Die Bankenwelt steht vor einem der fundamentalsten Umbrüche in ihrer Geschichte – die Konsolidierung der Branche hat begonnen. Die «Survivors» restrukturieren, industrialisieren und brechen aus ihrer Wertschöpfung diejenigen Teile heraus, die von externen, spezialisierten Dienstleistern effizienter und kostengünstiger erbracht werden können. So weit nichts Neues oder gar Revolutionäres, denn das hat die Industrie den Banken schon längstens voraus.

Doch damit drehen die Banken grösstenteils nur an der Kostenschraube. In Wahrheit geht es bei der Digitalisierung jedoch nicht nur um Kostenoptimierung, sondern um neue Geschäftsmodelle und Finanzprodukte. Wir müssen die Finanzdienstleistung im Kontext des digitalen Strukturwandels erfassen und begreifen: Bis zum Jahr 2020 werden 20 Milliarden Geräte mit dem Internet verbunden sein. Diese Geräte werden uns viele Alltagsaufgaben abnehmen und uns helfen, komplexe Entscheidungen zu treffen.

Der digitale Strukturwandel

Weltweite Anzahl der vernetzten Geräte im Internet (in Milliarden)

Prognose zum weltweiten monatlichen Datenverkehr von portablen Geräten im Mobilfunk (in Petabyte)

 

Internet of Money schafft Innovationen

In diesem Zusammenhang fällt der Begriff «Internet of Things» – aus Sicht der Finanzindustrie ist dieser Begriff irreführend. Denn diese Geräte werden für 40 Prozent des globalen Datenverkehrs zuständig sein und für ihre Besitzer Transaktionen abwickeln: Heizöl bestellen, die Unfallversicherung situativ auf der Skipiste aufstocken, Altersvorsorge optimieren, Werkstatt-Service für selbstfahrende Autos abwickeln und vieles mehr. Aus Sicht der Finanzindustrie müsste es somit «Internet of Money» heissen, denn hinter vielen dieser Aktivitäten stehen Finanztransaktionen.

Wer dies versteht, kann neue Kundensegmente differenzierter ansprechen und mit innovativen Services schneller am Markt sein. Hierfür muss die Bank sich allerdings im Klaren über ihr Differenzierungspotenzial im digitalen Markt sein und ihr Geschäftsmodell entsprechend aufsetzen. Sie muss die Felder identifizieren, die sie künftig nicht mehr bewirtschaften will und vor allem muss sie sich die Frage stellen, wo die Digitalisierung völlig neue Betätigungsfelder eröffnet, die es zu besetzen gilt. Erst wenn diese «digitale Agenda» erstellt ist, kommt die Technologie ins Spiel und kann ihr disruptives Potenzial entfalten. Wenn wir von Technologie reden, geht es im Wesentlichem um den interdisziplinären Einsatz von Big Data und Analytics, künstlicher Intelligenz und als grundlegende Basis für das Banking der Zukunft: Kryptografie.

 

Wandel hin zum Technologie-getriebenen Banking

Kryptografie bildet bereits heute die Grundlage für Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation zwischen Kunde und Bank. E-Banking ohne zuverlässige Verschlüsselung ist nicht denkbar. Dabei sollten wir uns allerdings bewusst machen, dass Kryptografie weitaus mehr ist als lediglich Verschlüsselung: Mit kryptografischen Methoden wird zusätzlich sichergestellt, dass Daten nicht manipuliert werden und der Urheber von Information eindeutig ist. Das klingt banal – hat aber massive Auswirkungen: Alle Branchen, die heute ihre Daseinsberechtigung aus der Vertrauensbeziehung zu ihren Kunden beziehen, stehen vor einem einschneidenden Wandel. Wo heute mit Regulation, Compliance, Audits und abgeschotteter IT mit enormen Aufwand Vertrauen «produziert» wird, kann Kryptografie auf technologischer Basis automatisiert Vertrauen schaffen – zu einem Bruchteil der Kosten.

«Als geld- und wirtschaftspolitsches Steuerungsinstrument können Kryptowährungen zum Beispiel mit einem Verfallsdatum oder einem konkreten Verwendungszweck versehen werden. Diese Funktionsvielfalt, eingebettet im Internet of Things, eröffnet bislang ungeahnte Möglichkeiten.»

Unter dem Begriff «Kryptofinance» zeigen die technologischen Vordenker, wie sie sich die Zukunft vorstellen: Offene manipulationssichere Systeme führen zu Transparenz, digital signierte Dokumente schaffen Verbindlichkeit, automatisierte Verträge bringen Skaleneffekte und pseudonymisierte Transaktionen auf diesen Plattformen schaffen Privatsphäre. Zwar kommt es immer wieder zu negativen Berichterstattungen über die führenden Kryptofinance-Vertreter wie BitCoin oder Ethereum, doch zeigt sich die noch sehr junge Szene sehr robust gegen Rückschläge und arbeitet konsequent an der Weiterentwicklung.

Kryptofinance bringt einige Paradigmenwechsel hinsichtlich unseres Verständnisses zu Geld. Kryptowährungen dienen weiterhin als Tauschmittel, können jedoch mit programmierten Funktionen, sogenannten Smart-Contracts, belegt werden. Denkbar ist Geld, das nur nach dem 4-Augenprinzip ausgegeben wird, vollautomatische Abwicklung von Akkreditiven ohne Banken, Privatwährungen auf Goldbasis und vieles mehr. Als geld- und wirtschaftspolitsches Steuerungsinstrument können Kryptowährungen z.B. mit einem Verfallsdatum oder einem konkreten Verwendungszweck versehen werden. Diese Funktionsvielfalt, eingebettet im Internet of Things, eröffnet bislang ungeahnte Möglichkeiten.

 

Neue Kooperationsmodelle für ein umfassendes Kundenerlebnis

Wie kann sich eine Bank in diesem Umfeld positionieren? Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass am Ende diejenigen Erfolg haben werden, die am Besten in der Lage sind, die Bedürfnisse des Kunden zu erkennen und in Produkte umzusetzen.Dabei geht es nicht um die vielzitierte «Generation Y», die sich Banking digitaler, moderner und komfortabler vorstellt. Es geht darum, in einer hochvernetzten Welt die richtigen Finanzprodukte zum passenden Zeitpunkt zum Kunden zu bringen.

Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen haben die einmalige Chance, ihren Kunden nun Produkte anzubieten, die die Welt der Dinge und die Welt der Finanzen miteinander vereinen.

Viele Banken sehen ihre Kernkompetenz in der Kundenbeziehung. Sie attestieren sich selbst eine Nähe zum Kunden und gehen davon aus, seine Bedürfnisse bestens zu kennen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass eine Bank, die sich der Kundenschnittstelle verschrieben hat, künftig eng mit Anbietern von Wearables, Hausautomationssystemen und selbstfahrenden Autos zusammenarbeiten muss. Denn diese Geräte stellen künftig die Schnittstelle zum Kunden dar. Anders ausgedrückt: Der Kunde geht selten in die Bankfiliale, nutzt aber täglich seinen intelligenten Kühlschrank, sein vernetztes Auto und seine Smart-Watch. Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen haben die einmalige Chance, ihren Kunden nun Produkte anzubieten, die die Welt der Dinge und die Welt der Finanzen miteinander vereinen. Dafür müssen sie aufeinander zugehen und gemeinsame Plattformen schaffen.

Die Zeit drängt – wie gesagt, bis 2020 wird es 20 Milliarden Geräte geben, die uns sagen können, welche Bedürfnisse der Kunde im Moment hat. Die Uhr tickt und Zeit ist Geld – wer wüsste das nicht besser als die Banken?