«Ist die Schweiz gerüstet für die Digitalisierung?»

Dr. Urs Rüegsegger

SIX

Ist die Schweiz gerüstet für die Digitalisierung?

Die Schweiz ist eine der wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften der Welt. Doch die Digitalisierung stellt das Land vor neue Herausforderungen. Noch ist es nicht gelungen, die traditionellen Stärken in eine digitale Führungsrolle umzumünzen. Zu diesem Ergebnis kommt die 2016 erschienene Studie «Die digitale Zukunft der Schweiz - Fakten, Herausforderungen und Handlungsempfehlungen», die von SIX und Swisscom beim Collège du Management de la Technologie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) in Auftrag gegeben worden war.

Die Digitalisierung verändert die Welt. Sie vollzieht sich im Spannungsfeld verschiedener voneinander abhängiger Faktoren. Die Netzwerkinfrastruktur bildet die Grundlage, um überhaupt Informationen speichern und übermitteln zu können. Diese Informationen wiederum unterliegen einem mehr oder weniger stark ausformulierten Datenschutz. Incubators, Accelerators und Innovation Hubs sind oft Treiber der Digitalisierung und fördern die Innovationsfähigkeit der Start-ups. Andererseits hemmen die Institutionen der öffentlichen Hand das Start-up-Umfeld über Gesetze, Steuern etc. massgeblich. Die Bereitschaft zur Digitalisierung in der gesamten Gesellschaft schliesslich hängt nicht zuletzt von kulturellen Eigenheiten ab.

«Bei der Start-up-Förderung, im Bereich E-Government sowie den digitalen Fähigkeiten der Bevölkerung hinkt die Schweiz im internationalen Vergleich hinterher.»

Die Veränderung durch die Digitalisierung ist nicht in allen Ländern gleich weit fortgeschritten. Während die Schweiz als eine der weltweit wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften und in vielen Bereichen führend gilt, wird sie betreffend Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Digital Economy noch wenig wahrgenommen. Im Bereich Datenschutz im weiteren Sinn, das heisst im Sinne von Transparenz und Vertrauen in das Datenmanagement der öffentlichen Hand oder privater Unternehmen, gehört das Land zwar weltweit zu den Top 3, was die Server-Sicherheit betrifft; die grossen Data-Center stehen aber vor allem in den USA und Grossbritannien. Auch bei der Start-up-Förderung, im Bereich E-Government sowie den digitalen Fähigkeiten der Bevölkerung hinkt die Schweiz im internationalen Vergleich hinterher. Aufgrund der konstatierten Mankos gibt die Studie Handlungsempfehlungen für die Schweiz. Sie betreffen die Netzwerkinfrastruktur, den Datenschutz, das Start-up-Umfeld, die öffentliche Hand und die Gesellschaft.

 

Wichtiger Treiber Netzwerkinfrastruktur

Die Netzwerkinfrastruktur ist die Grundlage für alle digitalen Lösungen und Dienstleistungen. Sie ist das Rückgrat und der Treiber jeder technologischen Entwicklung. Über Standardprotokolle garantiert sie darüber hinaus die globale Verknüpfung. Im Allgemeinen bezieht sich die Netzwerkinfrastruktur auf die Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT), das heisst die Hardware und die Software, die für den Anschluss, die Kommunikation und den Informationsaustausch nötig sind. So sind Entwicklungen in so gut wie allen zukunftstreibenden Branchen wie beispielsweise E-Health oder Fintech nur mit einer hervorragend ausgebauten und zuverlässigen Infrastruktur möglich.

Die EPFL bescheinigt der Schweiz eine gute ICT-Infrastruktur. Um jedoch global eine Leaderrolle übernehmen zu können, empfiehlt sie, die Prioritäten in den nächsten Jahren wie folgt zu setzen:

  • Konsequente Ausrichtung der Dienstleistungen auf die wachsende mobile Nutzung mit Smart Devices.
  • Dadurch Vorantreiben des Ausbaus des mobilen Breitbands, aber auch Wi-Fi Hotspots, zum Beispiel im öffentlichen Verkehr und Raum.
  • Bezüglich Stabilität und Zuverlässigkeit der ICT-Infrastruktur ist die Schweiz führend. Der konstant hohe Innovationsdruck hat zudem zu einer wettbewerbsfähigen Finanzmarktinfrastruktur geführt. Jetzt gilt es, die gesamte Infrastruktur auf die schnellen Veränderungen der Digitalisierung auszurichten, vor allem im Hinblick auf Agilität und Flexibilität (anytime, anyplace, any device).
  • Participatory Design sowie Design Thinking – d.h. der Kunde steht im Fokus bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen – helfen, damit die digitalen Services der Zukunft nicht nur das Potenzial der ICT voll ausschöpfen, sondern die tatsächlichen Nutzerbedürfnisse befriedigen.
  • Weiter soll die Attraktivität der Schweizer Infrastruktur speziell für finanzorientierte Dienste gezielt gefördert werden.

 

Fintech: Chance für einen «Swiss Approach»

Insbesondere im Bereich Fintech identifiziert die vorliegende Studie die Schweiz als potenziellen Innovationstreiber. Dafür verantwortlich sei neben der Präsenz global tätiger Finanzinstitute auch die Qualität der entsprechenden Infrastruktur. Fintech-Zentren wie Singapur, Hongkong, die USA mit New York und Grossbritannien mit London liegen noch vor der Schweiz und auch vor Luxemburg. Die EPFL sieht aber – zum Beispiel im Zusammenhang mit der Blockchain-Technologie – eine Chance für einen «Swiss Approach», der nicht einfach die Mechanismen des Silicon Valley kopiert.

Auch für SIX als Betreiberin der Finanzmarktinfrastruktur bringt die Digitalisierung Herausforderungen und Chancen: Kleine Start-ups wie auch branchenfremde internationale Technologiekonzerne treten in den Markt ein, neue Geschäftsmodelle entstehen. Die Beziehung des Kunden zu seiner Bank beispielsweise wird stärker automatisiert und mobiler. Dadurch ergeben sich neue Anforderungen an die Finanzmarktinfrastruktur.

Mit der Fintech-Bewegung werden gängige Geschäftsmodelle in der Finanzbranche kritisch hinterfragt und es kehrt eine neue Philosophie ein. Vor allem junge Bankkunden gehen nicht mehr in eine Filiale, sondern wollen ihre Bankgeschäfte möglichst mobil und online abwickeln.